Von Eis umzingelt
Es sollte noch einmal zurück nach Greymouth gehen, um dort die zwei großen Probleme von Fluffy zu beheben. Soll heißen: Die angeknackste Windschutzscheibe auswechseln zu lassen und uns endlich um den störrischen Anlasser zu kümmern. Außerdem sollte noch viel Zeit verwendet werden, die vielen Erlebnisse niederzuschreiben und uns um vernachlässigte Kleinigkeiten zu sorgen.
Wir verbrachten also einige Tage damit, Organisatorisches zu erledigen, Fluffy eine ordentliche Reinigung zu verpassen und regelmäßig das Internet der Stadtbibiliothek zu nutzen. Nachdem wir genügend Werkstätten abgeklappert hatten, um unser Auto wieder normal starten zu können, stolze Besitzer einer nagelneuen Windschutzscheibe waren und nebenbei noch den Haarschnitt bei Sonnenuntergang erledigt hatten, konnte es endlich die Westküste hinuntergehen.
Noch am Abend unseres Aufbruchs gelangten wir zu einem von Neuseelands einzigartigeren Naturwundern: Der Franz Josef Glacier. Ein Gletscher, der von den Southern Alps bis zum Fuße der Berge mitten in den subtropischen Busch hineinragt.
Wir liefen durchs steinige Flusstal, an einem wunderschönen Wasserfall vorbei bis hin zur Barriere und drüber hinweg. Doch war uns bald auch eine natürliche Grenze gesetzt, womit wir nur den Blick aus einiger Entfernung hatten, welcher bei solch riesiger Eismasse trotzdem Eindruck machte.
Und weil diese Art Gletscher eben so besonders ist, brauchten wir bloß eine halbe Stunde weiter fahren, um noch so einen bewundern zu können. Der Fox Glacier, bei dem Anne schon ein paar Tage zuvor für den nächsten Morgen 8 Uhr eine Eisklettertour gebucht hatte. Da es bereits dunkel war, hieß es: Ab ins Bett und ausruhen für die herannahenden Anstrengungen.
Während Anne in der Frühe mit ihrer Kletterausrüstung vertraut gemacht wurde, entschied auch Pauline ganz spontan, sich das Eis bei einer Tageswanderung aus der Nähe anzuschauen. Es wurden gleich die Wanderstiefel ausgeteilt und los gings mit dem Bus, vorbei an einem kleinen satttürkisen Gletschersee, bis 2 Kilometer vor die riesige Eiswand. Schon stolperte Paulines achtköpfige Gruppe übers Flusstal an weiteren farbenfrohen Wasserlöchern entlang und hörte gespannt den Worten ihres Tourführers zu, der so manch Wissenswertes über die Umgebung zu berichten hatte und mit vielen interessanten Geschichten und Erlebnissen aufwartete.
Nach einem spektakulären Blick auf den Gletscher, gings, mit blauem Himmel über den Köpfen, über steile Treppen eine Felswand hinauf, um zum Zugang am Rande der Eisdecke zu gelangen. Als dann die Steigeisen unter die Stiefel geschnürt wurden, sah man neben sich das blau schimmernde Eis, von dem es unaufhörlich tropfte und kleine Flüsse stetig ihren Weg in Richtung Tal fanden.
Mit dem Tourführer voran trauten sich alle nacheinander in diese neue Welt und plötzlich war Eis überall. Es führte durch schmale Gänge, über Hügel, an vielen Löchern vorbei und über frisch geschlagene Treppen, wenn der An- bzw. Abstieg zu steil wurde. Martin war darauf aus, neue Wege und vielleicht sogar eine Höhle zu finden, was auf Grund der ständigen Bewegung des Gletschers (2 Meter in der Woche) gar nicht so einfach, aber gut möglich war. Er lief also mit seiner Axt voraus, fabrizierte Stufe über Stufe und brachte die Gruppe immer höher ein gutes Stück den Gletscher rauf. Die Sonne schien und es war ein wunderbarer Blick aufs Tal, ganz von Eis umzingelt.
Als die Gruppe den Rückweg angetreten hatte, fand Martin den Weg zu einer schon länger existierenden Eishöhle. Spiegelglatte Wände in einem sanftblauen 5 Meter langen Tunnel. Einfach atemberaubend dort hindurchzugehen.
Zur gleichen Zeit hatte Anne schon ihre erste, unvergessliche Begegnung mit den frechen und verspielten Keas, den Bergpapageien, hinter sich und stapfte nun, etwas weiter oben im Gletscher, mit ihrer vierköpfigen Gruppe durchs ewige Eis. Mit kiloweise Ausrüstung bepackt und mit Steigeisen und Eisäxten ausgerüstet, streiften sie auf der Suche nach steilen Wänden und tiefen Spalten, die sich zum Klettern eigneten, umher.
Als Übungsplatz bot sich eine zehn Meter hohe Bruchkante an, an der sie die grundlegenden Techniken des Eiskletterns, Abseilens und des Sicherns erlernten. Da die Gruppe ausnahmslos aus Naturtalenten bestand, überwand sie propmt noch eine zweite, doppelt so hohe Wand, bevor sich jeder einzeln in ein 25 Meter tiefes Loch abseilte, um an dessen soliden Eiswänden wieder herauszuklettern (wobei der wasserfall, der dort hinunterlief, regelmäßig für frisches Gletscherwasser im Nacken sorgte).
Als letzte große Herausforderung hatte der Tourführer eine riesige, 50 Meter tiefe Gletscherspalte herausgesucht, die jedem die perfekte Atmosphäre bot, um seinen letzten Klettereinsatz nocheinmal so richtig zu genießen.
Nachdem alle wohlbehalten wieder aus den Eiswelten zurückgkehrt waren, verbrachten wir den Abend mit Charlotte, die Pauline bei ihrer Wanderung kennengelernt hatte, und genossen zusammen den Sonnenuntergang am Meer und den wunderbaren Ausblick auf die rotgefärbten Südalpen.